Modetrends – Ein Phänomen mit Nebenwirkungen
Modetrends sind das ästhetische Äquivalent zu saisonalen Grippewellen.
Sie kommen, verbreiten sich rasant und hinterlassen bei näherem Hinsehen nur ein leichtes Gefühl von Übelkeit.
Jeden Herbst zum Beispiel trage ich denselben alten Mantel, der aussieht, als hätte ihn Sherlock Holmes für zu altmodisch befunden, während um mich herum plötzlich Menschen herumlaufen, die aussehen, als wären sie aus einem landwirtschaftlichen Werbespot für Schafwolle entlaufen.
Designer – Alchemisten des Unsinns
Modetrends funktionieren wie eine Mischung aus Sekten und Pyramidensystemen.
Zuerst ist da eine kleine Gruppe von Modepropheten – wir nennen sie Designer, aber eigentlich sind sie Alchemisten des Unsinns.
Sie nehmen einen Gegenstand, der jahrzehntelang gesellschaftlich als »Nein, danke« kategorisiert war – sagen wir, Schlaghosen –, und erklären ihn zur Offenbarung. Das ist der Moment, in dem der Trend geboren wird. – Ein lodernder Phönix aus Polyester und Größenwahn.
Influencer – Spiegelbild als Berufung
Dann kommen die »Influencer« ins Spiel.
Eine Gruppe Menschen, die es irgendwie geschafft haben, ihren Lebensunterhalt damit zu bestreiten, dass sie so tun, als wäre ihr Spiegelbild ein Job.
Sie tragen die Hässlichkeit mit solcher Überzeugung, dass wir, die Normalsterblichen, uns irgendwann fragen: „Vielleicht bin ich das Problem?“ Und bevor du es merkst, steht in der Stadt ein 17-Jähriger mit einem Eimerhut aus Plastik, einer Jacke, die aussieht, als hätte sie den Zweiten Weltkrieg erlebt, und Crocs – CROCS! – in Neonfarben. Man möchte durch eine der Schaufensterscheiben laufen.
Mutig oder einfach nur teuer?
»Mutig« ist das Schlüsselwort in der Modeindustrie.
Es ist der Euphemismus für: „Das sieht aus wie ein Unfall, aber hey, du hast dafür bezahlt.“
Der neueste Schrei sind zum Beispiel absichtlich zerrissene Jeans. Früher hätte dich die Oma in solchen Hosen direkt zum Nähen geschickt, heute bezahlt man 300 Euro dafür, dass man aussieht wie ein bedürftiger Statist aus einem Katastrophenfilm.
Oversized – Von der Schande zur Avantgarde
Oder diese oversized Sachen. Früher nannte man das »zu groß«, und du hast dich geschämt, wenn du in der Schule mit Papas Hemd auftaucht bist. Heute nennt man das avantgardistisch.
Du ziehst ein Zelt über, schnürst es mit einem Gürtel zusammen und voilà: High Fashion. Es gibt nur eine Situation, bei der Oversized perfekt ist. – Wenn deine Freundin bei dir übernachtet und sich deinen KaPu als Schlafanzug schnappt.
Alles andere ist wie Hose unter dem Hintern tragen.
Nachhaltigkeit – Greenwashing als Verkaufsstrategie
Natürlich darf Nachhaltigkeit nicht fehlen.
Modetrends sind jetzt »nachhaltig«, was bedeutet, dass wir uns mit gutem Gewissen drei neue Jacken kaufen dürfen,
weil die Marke behauptet, sie hätten den Stoff aus recycelten PET-Flaschen gemacht. Hat jedenfalls die 11-jährige Näherin aus Indien behauptet.
Die gleiche Industrie, die vor fünf Jahren dachte, Polyester sei eine gute Idee, verkauft uns jetzt wieder Baumwolle, aber diesmal mit einem Greenwashing-Sticker drauf. Und wir kaufen es. Natürlich kaufen wir es. Es ist schließlich „für die Umwelt“.
Der wahre Sinn von Modetrends
Niemand kauft Kleidung, weil sie wirklich nachhaltig ist.
Wir kaufen sie, weil sie uns kurz das Gefühl gibt, als wären wir Teil von etwas Größerem – eines Trends, einer Bewegung, eines Plans.
Dabei sind wir nur ein Zahnrad in der Maschinerie des Konsums. Und wenn die Maschine keinen Bock mehr auf uns hat, wird sie uns mit unseren alten Skinny Jeans zurücklassen, während das nächste große Ding schon um die Ecke kommt. Hosen ohne Beine oder T-Shirts aus Algen.
Du bist gut genug – auch ohne Modetrends
Modetrends haben keinen Sinn. Das ist ihr Sinn. Sie existieren, um dich daran zu erinnern, dass du nicht dazugehört hast, nicht dazugehörst und niemals dazugehören wirst. Sie sind ein Mechanismus der sozialen Kontrolle, verpackt in glänzenden Magazinen und Instagram-Filtern. Und sie funktionieren, weil wir alle irgendwann den Glauben verloren haben, dass wir ohne sie gut genug sind. Hier kann ich dir eines sagen, du bist gut genug, immer.
Gruß,
euer Tim
Quellen:
Fotos: © KI-Generiert
Text: © Tim Reinhold. Alle Rechte vorbehalten. – Kopieren ist strengstens untersagt.
Enthält Satire und Zynismus
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