Großer Andrang im Landhotel Behre
Das gesamte Heer kotzt gerade oder, warum ich einen Brief an Boris Pistorius schreiben werde.
Was sind das für Zeiten? Der Veranstaltungstitel „Niedersachsen verteidigen – Ahlten schützen“ hat mich anfangs eher abgeschreckt als neugierig gemacht.
Ich hatte gehofft, mich in meinem Leben nie wieder mit Fragen der Landesverteidigung beschäftigen zu müssen.
Doch Wegschauen hilft nicht – unsere Welt hat sich verändert.
Es geht nicht nur um Krieg oder Terror. Auch Naturkatastrophen machen unsere Infrastruktur verwundbarer.
Deshalb war ich gemeinsam mit unserem Chefredakteur Patrick vor Ort – mit uns noch rund 80 weitere Lehrter Bürger.
Wir fahren also zum Landhotel Behre. Schon eine halbe Stunde vor der Veranstaltung ist der Parkplatz des Hotels komplett gefüllt. Da hat die Veranstaltung der CDU-Ahlten unter dem Titel »Herausforderung Sicherheit: Niedersachsen verteidigen – Ahlten schützen« wohl genau das Informationsinteresse der Bürger getroffen.
Zu Beginn der Veranstaltung sind alle Tische voll, rund 80 Bürger lauschen fast zweieinhalb Stunden den Vorträgen. Alle bleiben bis zum Schluss – keiner geht vorzeitig.
Das ist eine sehr bunte Zuhörerschaft. Kameraden der Feuerwehren und vom Katastrophenschutz sind da. Man kennt sich durch die vielen Einsätze, das schweißt zusammen. Das ist Berufsethos – da setzt man sich zusätzlich in der Freizeit noch Stunden in solch eine Veranstaltung. Respekt.
Bürger sind natürlich auch da, auch junge. Auch Frauen, aber nicht viele. Ja klar, Parteimitglieder der CDU natürlich auch.
Nach meiner Einschätzung überwiegen aber die Nichtmitglieder. Bei uns am Tisch sitzt ein Bürger, der im kirchlichen Bereich arbeitet. Und Mitarbeiter vom Roten Kreuz, bekannte Gesichter. Die, die sie nicht kennen, wissen trotzdem sofort Bescheid.
Denn auch in Ihrer Freizeit tragen sie stolz die Shirts mit dem roten Kreuz.
Professionelle Moderation und hochkarätige Gäste
Die Spannung steigt. Der stellvertretende Vorsitzende der CDU – Ahlten Jens Jeitner eröffnet.
Gemeinsam mit Jörg Posenauer und Jörg Wieters führen sie so professionell und leichtfüßig mit ihren Mikrofonen durch den Abend, als wenn sie täglich Talkrunden leiten würden.
Kommen wir zu den Gästen. Die Kapitänleutnants Florian Rohmann und Fabian Gruhn vom Landeskommando Niedersachsen vertreten die Bundeswehr, Branddirektor Martin Voß vom Niedersächsischen Landesamt für Brand- und Katastrophenschutz ist bei den Lehrter Kameraden natürlich bekannt. Anja Heine, Referentin für Bürgerbeteiligung vertritt TenneT, das nicht nur ein großer Arbeitgeber in Ahlten, sondern mit seinem Umspannwerk auch ein wichtiger Knotenpunkt in der deutschen Stromversorgung ist.
Angriffsszenarien und politische Versäumnisse
Bemerkenswert, ich befinde mich ja auf einer CDU-Veranstaltung und dennoch – die „Versäumnisse der Regierung unter Merkel“ werden erwähnt. Gemeint ist damit das viel zu geringe Engagement, mit dem man sich in diesen vielen Jahren zu wenig um Bundeswehr und Katastrophenschutz gekümmert hat.
Warum diese Veranstaltung? Jens Jeitner verweist auf ein aktuelles Beispiel. Vor einigen Tagen hat die Ukraine einen Angriff mit Schläferdrohnen auf die russischen Streitkräfte tief im inneren des Landes unternommen. Ein Drittel der strategischen Bomberflotte Russlands soll dadurch vernichtet worden sein.
Beide Länder befinden sich im Krieg. Diese Drohnen können mittlerweile relativ leicht gebaut und überall gestartet werden. Es braucht dafür keinen Krieg. Es können auch Terroranschläge damit verübt werden. Ebenso können Naturkatastrophen immer und überall passieren, auch in Niedersachsen, auch in Lehrte.
Mehrfach wird das verheerende Hochwasser im Ahrtal im Laufe des Abends erwähnt. Ich merke mir, das größte Risiko ist mangelnde Phantasie. Ich habe das auch vor vielen Jahren beim Dienst an der Waffe mal gelernt. Aber ich habe es in unserer Wohlfühlgesellschaft über die Jahre vergessen. Wir alle werden wieder umdenken müssen, dass ist eine, dass ist DIE Erkenntnis des Abends.
Bundeswehr unter Druck – Kritik mit Fakten
Draußen geht ein Platzregen nieder und ein Donnerschlag erschallt. Wie bestellt für diesen Abend. Die beiden Kapitänleutnants übernehmen.
Ich muss schmunzeln, typisch Bundeswehr: strukturiert, zackig, zielorientiert.
Beide beginnen mit einer Glaskugel. Was soll die uns sagen?
„Wir Deutschen haben vergessen in Szenarien zu denken, um reagieren zu können.“ Stimmt, wir agieren nicht mehr, wir reagieren nur noch. Sie stellen eine Frage, die ich befürchtet hatte. „Befinden wir uns im Krieg?“ – „Ja“, tönt es aus dem Publikum. Nicht militärisch.
Zitiert wird Bruno Kahl, Präsident des Bundesnachrichtendienstes, der gesagt hat „Putin bezeichnet Deutschland als politischen Feind“. Beide Offiziere berichten von täglich tausenden „Angriffen“ auf die NATO. Die sind unterschiedlich. Cyberangriffe, Drohnen über Militäreinrichtungen, mutwillige Verunreinigungen in Tanks von Militärfahrzeugen.
Sie zeigen Bilder der furchtbaren Bombenangriffe auf Braunschweig aus dem 2. WK. Zahlreiche Bomben sind auch auf Ahlten und Lehrte geworfen worden.
Es ist gut, dass sie den Unterschied erklären. Im Kalten Krieg haben Deutschland und die NATO aufgerüstet. Das was jetzt passiert, oder besser, passieren soll, ist keine Aufrüstung.
Jetzt kommt ein Satz, bei dem ein Raunen durch die Zuhörer geht. „Die Bundeswehr verteidigt nicht unser Heimatland Deutschland. Das geht immer nur über das NATO-Bündnis.
Die Bundeswehr könnte Deutschland alleine gar nicht mehr verteidigen, dafür ist die Personalstärke viel zu gering.“
Ein ernstes Thema. Und trotzdem, beide Kapitänleutnants bringen die vielen Punkte interessant, sachlich und teilweise mit Humor rüber.
Die Zuhörer kleben an ihren Lippen. Was auffällt, sie sind sehr kritisch. Manchmal stellen sie fest, dass sie als Privatperson sprechen und nicht als Bundeswehrangehörige. Aber sie unterlegen auch jede Kritik mit Fakten.
Zitate, die unter die Haut gehen
„Im Bundestagswahlkampf kam die Verteidigung gar nicht vor.“
„Wir haben nicht das Personal im Bündnisfall.“
„Das gesamte Heer kotzt gerade.“
„Durch den Einsatz in Litauen haben wir in Deutschland nichts mehr.“
„In der Bundeswehr gibt es auch Lobbyismus. Die Luftwaffe bekommt zu viel, das Heer zu wenig.“
„Kann man Ahlten verteidigen? Das werden wir nicht tun. Da kommt es auf Euch an. (gemeint ist die Bevölkerung und vorallem Ehrenamtliche)“
„Verteidigungsminister Pistorius hat jetzt einen dritten beamteten Staatssekretär bekommen. Warum?“
„Wir haben heute genauso viele Generäle wie im Kalten Krieg, aber nur noch kaum die Hälfte der Truppe.“
„Die Charmeoffensive hat nichts gebracht. In den Stuben stehen jetzt Kühlschränke und Stehlampen, mehr Soldaten haben wir trotzdem nicht.“
„Über Attraktivität und Werbung ist die Truppenstärke nicht zu erhöhen. Das machen wir schon Jahre.“
„Faktisch ist das ohne echte Wehrpflicht / Zivildienstpflicht nicht machbar.“
„Luftabwehr ist in der Bundeswehr praktisch gar nicht vorhanden.“
„Deutschland besitzt nur Patriots, um Berlin und ein Drittel von Hamburg vor Raketen zu schützen. Ein Feind würde das Ruhrgebiet angreifen. Das ist nicht geschützt. Die Infrastruktur wäre wirkungsvoll getroffen und es würde viele Tote geben.“
„Was die Politik als schnell bezeichnet ist nicht schnell!“
Krankenhausstruktur als Sicherheitsrisiko
Beide richten sich jetzt an das Publikum.
„Das wird hier wohl gut ankommen. Weil Olaf Scholz es echt mal verkackt hat, sind wir nicht bei der Joint Expeditionary Force (multinationale Expeditionstruppe und schnelle Eingreiftruppe) mit dabei.“ Und jetzt kommt’s. Innerlich bekomme ich einen roten Kopf.
An unser geschlossenes Krankenhaus habe ich im Zusammenhang mit diesem Abend nicht gedacht, dabei habe ich darüber so viele Artikel geschrieben. Die beiden Offiziere fragen: „Wo haben wir Krankenhäuser? Wo sollen die Verletzten hin? Momentan werden überall Krankenhäuser geschlossen. Das ist zu kurz gedacht. Wo sind die Betten, wenn wir viele Verletzte haben? Im Einsatzfall würden täglich bis zu 1.000 Verwundete kommen.“ Genau dieses Thema kommt auch im Vortrag von Martin Voß vor.
„Naturkatastrophen nehmen keine Rücksicht auf Einsparungen in der Kliniklandschaft.“ Er kennt die Kameraden aus Lehrte und er kennt auch Ahlten. Die A2 kreuzt die A7 direkt vor der Tür, Lehrte ist ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt, der Mittellandkanal ist da und natürlich das große Umspannwerk und Gasverteiler.
Viele Möglichkeiten, um große Schäden bei Menschen und Infrastruktur zu verursachen, egal ob durch Angriffe welcher Art oder Naturkatastrophen.
„Das Ehrenamt in Deutschland ist das Rückgrat.“ Es ist ihm wichtig, dass seinen Kameraden und der Bevölkerung zu sagen.
Auch er hält einen äußerst interessanten Vortrag. Das Publikum erfährt dabei zum Beispiel neben vielen anderen Punkten, dass die Lieferzeit für ein Feuerwehrfahrzeug derzeit 4 Jahre beträgt.
Fragerunde bringt neue Denkanstöße
Jetzt gibt es eine sehr stark genutzte Fragerunde, um den Bevölkerungsschutz noch besser zu verstehen.
Das geschlossene Lehrter Krankenhaus wird auch hier vielfach als falsche Entscheidung aufgeführt.
Ich melde mich auch und richte meine Frage an die Offiziere: „Ich bin der deutsche Verteidigungsminister und habe Moral. Nach Ihrem Vortrag hätte ich einen roten Kopf bekommen und hätte meinen Rücktritt eingereicht.“ Viele schauen etwas verwundert ich fahre fort.
„Friedrich Merz hat jetzt einen freien Ministerposten zu vergeben. Und weil die CDU heute ja vogue ist, sollen die beiden Kapitänleutnants in Doppelspitze das Verteidigungsministerium übernehmen. Meine Frage folgt: Was würden Sie unternehmen, damit die vielen angesprochenen Probleme schnell gelöst werden?“
Die Offiziere sind sichtlich überrascht, im Publikum gibt es Lacher. „Das ist eine sehr gute Frage. Jetzt werden wir in Verantwortung für unsere Kritik genommen und sollen Lösungen präsentieren.“
Die Antwort der beiden zeigt den Zustand im Bereich der Landesverteidigung im Deutschland 2025. Beide würden den Ministerposten nicht annehmen.
Schlusswort mit Appell ans Ehrenamt
Im persönlichen Gespräch später frage ich, ob sie denn auch von Politikern so befragt würden. Das passiert, aber eher im Bereich Kommunalpolitiker und einzelne Abgeordnete aus Landtagen und dem Bundestag.
„Aber was bringt das, wenn einige Bundestagsabgeordnete fragen und die anderen 400 keine Ahnung von der Bundeswehr haben?“ Abgeordnete denken in Legislaturen. Da werden Fahrzeuge gekauft, damit man vor Ende der Legislatur noch schicke Fotos machen kann.
In Ausbildung dagegen wird nicht investiert, weil man die Ergebnisse nicht sehen und nicht fotografieren kann.“
Achim Rüter, Vorsitzender des DRK in Lehrte, stellt eine Frage und gibt sich selbst die Antwort.
Es ist ein tolles Schlusswort für diesen Abend. „Das Bewusstsein, dass wir etwas tun müssen, muss wieder in die Köpfe zurück. Eltern müssen ein Vorbild sein und das in einem Ehrenamt vorleben. Die Schulen müssen mehr leisten in der Erziehung. Das Ehrenamt muss in der Gesellschaft mehr geschätzt werden.
Ich habe viel gelernt an diesem Abend bei der CDU.
Quellen:
Fotos: ©P.R.-F.
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